Da ist er, dieser magische Moment, auf den ich mich seit Wochen freue. Der Batch ist abgegeben. Die Pensionskassen-Frage geklärt. Die Emails sind gelöscht. Die privaten Fotos auch. Ich sage tschüss und spaziere aus dem Büro. Noch ein Mal den langen, tristen Gang runter zur Tramstation und da liegt dieser neue Lebensabschnitt vor mir. Ganz nackig und unschuldig. Bereit, von mir gelebt zu werden. Ich möchte einen lauten Juchzger tun, lass es dann aber bleiben. Zivilisation und so. Nicht dass ich vor den Türen meines ehemaligen Arbeitgebers noch verhaftet werde.
Und in mir drin, da lodert dieses grosse, glückselige Feuer. Plötzlich verstehe ich Hermann Hesse, denn ja: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne! Und dieser Zauber ist so gewaltig, dass ich sämtliche Fahrgäste im Tram umarmen will. Keine Angst, ich komm niemandem zu nah. Aber ich lächle. Ich lächle jeden noch so muffligen Bürger an, der mir in die Quere kommt. Da habt ihr meine Glückseligkeit. Ungefiltert. Gnadenlos. Ich muss mich fortan morgens nicht mehr aus dem Bett quälen, keine Mails beantworten, keine Pendenzen aufarbeiten, keine Probleme lösen, keinen Sitzungen bewohnen, nichts noch schnellschnell gegenlesen oder umschreiben oder neu formulieren. Und das ist einfach unbezahlbar schön.
Freiheit, ich grüsse dich! Ich nehm noch ein Bier! Gebt mir laute Musik! Ich will tanzen! Frohlocken! Halleluja singen! Nun gut. Die ganze Freiheitskiste dauert natürlich nur eine Woche. Dann werde ich meinen neuen Job antreten und wie das werden wird, wissen die Götter. Aber «step to step» wie es mein ehemaliger Chef so schön zu sagen pflegte (über dessen Fremdsprachen-Kenntnisse ich an dieser Stelle bereits einmal ausführlich berichtet habe). Nun werde ich diese eine Woche der absoluten Schwerelosigkeit erst einmal geniessen, was das Zeug hält. Und drum: Prost!
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse)
Bild: Christian heinze / pixelio.de
Danke fürs nutzen meines Fotos 🙂
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