Mutterglück
Herrlich, diese bösen Blicke, wenn ich mich morgens mit meinem überdimensionalen Bauch in den knallvollen Zug quetsche, um zur Arbeit zu pendeln. Nein, ich bin nicht fett geworden. Ich bin schwanger. Der Appetit ist mir angesichts der Schweizer Familienpolitik bereits beim ersten Kind vergangen. Dass niemand für mich seinen Sitzplatz freigibt, hat jedoch nur peripher mit der Familienpolitik des Landes zu tun. Kinder und Mütter sind hier einfach nicht allzu gerne gesehen. So stehe ich also schwitzend im Zug und bin ganz und gar selber Schuld, dass ich im neunten Monat schwanger bin und mir 20minütiges Stehen stechende Rückenschmerzen verursacht.
Nicht selber Schuld bin ich hingegen dafür, dass ich noch im neunten Monat zur Arbeit pendle: Hierzulande müssen Schwangere ihrem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, bis die Fruchtblase platzt. Falls sie sich vorgängig auf das Kind oder die komplett neue Lebenssituation vorbereiten oder einfach gopfertori einmal nichts tun möchten, weil schwanger sein nämlich übelst anstrengend ist, so haben sie dies gefälligst am Wochenende oder am Feierabend zu erledigen. Alternativ kann Frau auch frühzeitig ihren Job künden und damit auf sämtliche Sozialleistungen verzichten. Dem Arbeitgeber wär’s recht. Eine Schwangere bedeutet für ihn nämlich nur Mühsal und Kosten. Und mal ehrlich, Mutti: Nach deinem Baby-Urlaub kannst du die Chance auf verantwortungsvolle Aufgaben oder gar eine bezahlte Weiterbildung sowieso vergessen. Falls dir nicht direkt nach dem gesetzlich verordneten Kündigungsschutz die Kündigung ins Haus flattert, fristest du bestenfalls noch ein Dasein als Telefon- und Kaffeemaschinen-Entkalkungs-Dame.
Wenn nun also meine Wehen einsetzen – wobei ich das Telefon im Büro noch locker bis zu den Presswehen bedienen kann – darf ich meinen Arbeitsplatz offiziell verlassen, um zu gebären. Besser wäre es allerdings, das Kind an einem Samstag aus mir rauszudrücken, da hat der Papi nämlich Wochenende und Zeit, mich in die Klinik zu fahren. Am Montag darauf bekommt er vom Staat erst noch einen ganzen Urlaubs-Tag (soviel Vaterschaft ist gesetzlich vorgeschrieben) geschenkt. Da kann er dann seinem Nachwuchs kurz in die rosa Bäckli kneifen, seiner Frau einen Schmutz auf die verschwitzte Stirn drücken und abends mit seinen Kollegen auf den erfolgreichen Zeugungsakt anstossen. Messi vill, vill Mol, lieber Staat, wüki enorm grosszügig.
Während mein Liebster am Dienstag bereits wieder auf Arbeit ist, werde ich dem Milcheinschuss erliegen und ratlos auf 14 Wochen Mutterschaftsurlaub blicken. Yihaaa, endlich Urlaub! Zeit, um auszuschlafen, zu relaxen und mich so richtig verwöhnen zu lassen. Das hab ich mir nach neun Monaten Schwangerschaft aber auch echt ver – möööp – nochmal: 14 Wochen, in denen ich mich in meiner Wochenbettdepression suhlen, gegen den Übermüdungs-Kollaps und die totale körperliche Verwahrlosung kämpfen, aus lauter Überforderung, Verzweiflung und Einsamkeit vor mich hin heulen und gleichzeitig stillen kann, was das Zeug hält. Ja, stillen wird in der Schweiz dringend empfohlen und zwar mindestens sechs Monate lang. Klar, nach 14 Wochen bekommst du keine Mutterschafts-Entschädigung mehr. Wenn dein Liebster die Familie also nicht alleine unterhalten kann oder dein Chef nicht länger auf dich verzichten will, stehst du dann wieder pünktlich im Büro und pumpst alle drei Stunden deine übervollen, schmerzenden Milchdrüsen ab. Auf dem Gemeinschafts-Klo, ist ja kein Problem.
An dieser Stelle sollte jedoch noch erwähnt werden, dass es in der Schweiz nach wie vor ein kleines bitzeli verpönt ist, als Mutter so früh wieder bei der Arbeit zu erscheinen. Da hängen wir moralisch noch ein wenig in den 50er Jahren fest. Für viele Bürger in diesem Land gehört die Frau auch 2018 noch an den Herd und zu den Kindern. Wer also zum Beispiel gerne seinem erlernten Beruf nachgehen, finanziell unabhängig sein oder seine Pensionskasse nicht komplett an den Nagel hängen möchte, wer geistige Herausforderungen und Abwechslung mag oder welche Gründe auch immer für eine bezahlte Arbeit sprechen, der gilt schnell als karrieregeil und hätte dann vielleicht besser gar nicht erst Mutter werden sollen.
«Was, du gibst deinen Sechsmonatigen schon in die Kita?», bekam ich bereits beim ersten Kind mit ungläubigem Unterton zu hören – und das, obwohl ich mir mit Hilfe meines Liebsten sogar drei zusätzliche Monate unbezahlten Baby-Urlaub geleistet hatte. Offenbar ist ein Kind, das fremdbetreut wird, gleichzusetzen mit einer Mutter, die nichts für ihren Nachwuchs empfindet und in Kauf nimmt, dass ihr Baby einmal asozial, drogensüchtig oder sonstwie kriminell wird.
Nichts desto Trotz werde ich auch mit zwei Kindern weiterhin Geld verdienen. Und mein Liebster wird versuchen, seine hart erkämpften Frei-Tage mit den Buben zu verbringen. Weil wir uns ein Familienmodell wünschen, das so gleichberechtigt wie irgend möglich funktioniert. Auch wenn in unserer grauenhaft rückständigen Familienpolitik Gleichberechtigung leider nicht vorgesehen ist.
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05 Jun
Dieser Beitrag wurde am 5. Juni 2018 um 20:39 veröffentlicht. Er wurde unter
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