Über den Wolken
Seit sechs Stunden klemme ich nun bereits zwischen zwei unverrückbaren Armlehnen auf einem viertel Quadratmeter Flugzeugsitz fest und friere mir den Arsch ab. Scheinbar will man uns auf 12‘000 Meter über Meer schockgefrieren – vermutlich die einzige halbwegs wirksame Massnahme, um den Dämpfen aus fauligen Zahnzwischenräumen, triefenden Achselhöhlen und rumpelnden Gedärmen entgegenzuwirken, welche die etwas über 200 im Airbus A340-300 eingepferchten Passagiere ausdünsten. Trotzdem stinkt‘s wie im Elefantenhaus. Dies liegt allerdings auch an der kürzlich servierten Mahlzeit: Pastamantsch mit Fleischdings und braunem Pflutter, dazu ein tiefgefrorener Teig und etwas Grünes, vermutlich Gurkensalat. Ich hätte zwar lieber den Reispamp mit Gemüseschlamm gehabt, aber das war leider schon aus, als das Frölein mit der adretten Uniform bei mir in der zweithintersten Reihe angekommen war.
Sechs Stunden quäle ich mich also schon mit den mir zur Verfügung stehenden zweieinhalb Sitzpositionen ab, meine Füsse sind unterdessen auf doppelte Grösse angeschwollen und ich spüre den Herzschlag in den Kniekehlen – so fühlt sich vermutlich eine Thrombose an, denk ich mir, als der Kapitän unsere aktuelle Flugposition durchgibt: Wir befinden uns direkt über der Grenze von Tatschikistan und Usbekistan. Auch Arsch der Welt genannt. Bis Zürich sind’s noch sechseinhalb Stunden. Hueregopfetorisiech, wie soll ich das bloss aushalten, wo ich doch jetzt bereits Amok laufen, die Stewardessen wüst beschimpfen und die Sitz-Nachbarin vor mir ermorden will, weil die saudumme Geiss zwei Sekunden nach Erreichen der maximalen Flughöhe ihren Sitz in Liegeposition gestellt hat, was meine klaustrophobischen Gefühle massgebend negativ beeinflusst. Zudem ist der Winkel des im Vordersitz integrierten Bildschirms nun dermassen ungünstig, dass ich vom Film, den ich zur Überbrückung zweier weiterer Flugstunden gewählt habe, nur schwarze Schatten sehe. Ist aber nicht so schlimm, da die von der Fluggesellschaft verteilten Kopfhörer sowieso nicht funktionieren.
Zur Aktivierung der Blutzirkulation und zum Todschlagen einiger Minuten schäle ich mich aus dem Sitz und schlängle mich zum Klo. Ich muss zwar nicht pinkeln – schliesslich hab ich bisher auch kaum was zu trinken gekriegt – aber hinter den Toiletten habe ich einen Quadratmeter Raum erspäht, der sich prima für ein paar Kniebeugen eignen könnte. Kaum setze ich jedoch zum Lockern meiner Beine an, scheucht mich eine Schnepfe vom Personal wieder nach vorne; sie brauche diesen Platz für Weissdergeier. Also mache ich meine Kniebeugen im Gang und strecke meinen Hintern diversen Fluggästen ins Gesicht. Sorry, gäll. Auf dem Bildschirm eines Nachbars leuchtet mir die verbleibende Flugdauer entgegen: Noch fünf Stunden und zehn Minuten. Plötzlich erscheint mir ein brennendes Triebwerk eine dankbare Abwechslung, ja, gar eine wünschenswerte Erlösung zu sein. In meiner schizoiden Stimmung beginne ich «über den Wolken» von Reinhard Mey zu summen.
In den folgenden Stunden formuliere ich in Gedanken einen Drohbrief an die Fluggesellschaft, reiche bei der Menschenrechtskommission eine Petition gegen menschenunwürdige Verhältnisse auf Langstreckenflügen ein, verschaffe mir unter gewaltsamem Einsatz meines Zahnbürstelis Zugang zur First Class und simuliere einen Herzinfarkt. Als wir einige erbärmliche, zermürbende, frustrierende Stunden später zur Landung ansetzen, bin ich den Tränen nahe und schwöre mir, dass ich den nächsten Urlaub zuhause auf der Terrasse verbringen werde. Mal sehn.
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