Nüchtern betrachtet

«Ein stilles Wasser bitte», sage ich seit Anfang Monat, wenn mich die Bedienung nach meinen Getränke-Wünschen fragt. Auch wenn ich Sekunden zuvor ein Bisonfilet mit Gemüsebouquet und Rosmarin-Kartoffeln bestellt hab, das nach einem schönen, schweren Barolo schreit. Auch in der Bar, wo alle nur Gin Tonic, Mojito und Lillet saufen. Auch am Wochenende. Für mich gibt’s Wasser.

Diese Tatsache führt bei meinen Mitmenschen zu fragenden und besorgten Blicken. Die einen sind sich sicher, dass ich schwanger bin. Die anderen vermuten, dass ich eine Diät mache. Die dritten sorgen sich, dass ich krank bin. Dabei bin ich nur konsequent. Der Januar ist bei mir alkoholfrei. Nach dem Sauf- und Feiermonat Dezember, an dem ich quasi täglich zu tief ins Glas geschaut habe, will ich meinem Körper nun mal wieder was Gutes tun. Und der freut sich wirklich, der Körper!

Nur meine Mitmenschen freuen sich nicht. «Ach nee, heute wollte ich mich doch mit dir betrinken!», höre ich da im Ausgang von der Freundin. Oder «du kannst doch eine Ausnahme machen, schliesslich hab ich Geburtstag.» «Nur zum Anstossen, weil Anstossen kann man doch nicht mit Wasser…». Verständnislosigkeit und Enttäuschung in den Gesichtern, wenn ich mich nicht erweichen lasse. Ich, die fröhliche Schluckschwester, die Cüpliprinzessin, die Synapsenvernichterin.

Ja, ich gebe zu, im Normalfall stosse ich an, wo immer ich ein Glas Sekt, einen Hugo oder einen gespritzten Weissen in die Finger kriege. Ich bin die Süffel-Freundin, mit der man sich nach der Schwangerschafts- und Stillzeit endlich mal wieder die Lampe füllen kann. Wer mich besucht, bringt nicht nur eine, sondern zwei Flaschen Rotwein mit. Wer mit mir unterwegs ist, lässt das Auto zu Hause. Ich tinke gern. Nur nicht jetzt, im Januar. Da bin ich streng.

Zugegeben: Die Folge meiner Abstinenz ist nicht nur, dass ich keine Kopfschmerzen und keine Augenringe mehr habe und morgens problemlos aus dem Bett hüpfe, noch bevor der Wecker klingelt. Ich bin nüchtern betrachtet auch extrem unlustig und unspontan. Keine intimen Offenbarungen mehr in dunkler Nacht, kein erotischen Liebesschwüre mit weinroten Lippen. Spätestens um 23 Uhr bin ich im Bett. Jeden Tag. Apéros kotzen mich neuerdings an. Sowieso sitz ich am liebsten zu Hause auf dem Sofa. Mein soziales Leben ist tot. Mein Sexleben auch. Ein klarer Kopf hat eben seinen Preis.

Was freu ich mich auf den Februar!

Dieser Beitrag wurde am 22. Januar 2016 um 15:26 veröffentlicht. Er wurde unter Menschenskind abgelegt und ist mit , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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