Umzug
Knapp zehn Mal bin ich in den vergangenen 15 Jahren umgezogen. Einmal hab ich es sogar auf zwei Umzüge innerhalb von acht Monaten geschafft und bei jedem Umzug den Kanton gewechselt – mein Auto hatte in einem Jahr drei verschiedene Nummern. Man könnte fast meinen, es bereite mir eine irre Freude, das Porzellan in Kisten zu verpacken und sämtliche Versandhäuser und Versicherungen über meine neue Adresse zu informieren. Tut es nicht. Um ehrlich zu sein: Ich hasse es.
Dennoch – der nächste Umzugstermin steht vor der Tür. Und nach der ersten Phase der euphorischen Umtriebigkeit bin ich nun in der Phase der Lethargie gelandet. Seit Wochen betrachte ich meine Wohnung mit den Augen eines Hotelgastes, der keinerlei Ambition verspürt, die Spuren im Klo oder die Haare im Siphon zu entfernen. Ich vegetiere auf dem Sofa vor mich hin und beobachte unmotiviert, wie eine Spinne neben mir vorbei spaziert während eine Staubflocke im Luftzug über das Parkett tanzt. Ab und zu schlurfe ich aus purer Langeweile zum Kühlschrank, wo mich immer dasselbe Bild erwartet: Ranzige Butter, zwei Bierdosen, eine ziemlich leere Flasche Ketchup und ein paar verweste Essensreste, die sich seit Wochen erfolgreich hier verstecken. Dann setze ich mich wieder aufs Sofa und verteile mit dem Nagelknipser ein paar Zehennägel in der Szenerie, nur um wenigstens etwas Produktives zu tun.
Fürs Kisten packen ist es noch zu früh, fürs Haushalten längst zu spät. Noch 20 Tage bis die Zügelmänner einmarschieren und mein ganzes Leben an einen neuen Ort verfrachten. Ich könnte im Schrank nach Kleiderleichen fahnden. Einrichtungspläne zeichnen. Wandfarben aussuchen. Stattdessen tue ich: nichts. Weder mein Hintern noch meine Seele sind aktuell bereit, sich auf Umzugsaktivitäten einzulassen. Sie sind gerade vollauf damit beschäftigt, den Abschied zu zelebrieren und sich auf das, was kommt, vorzubereiten: Sich in stundenlanger Arbeit mit winzigen Inbusschlüsselchen blutige Blasen an die Hände schrauben. Die Wunden im Anschluss anlässlich der bevorstehenden Wohnungsabgabe tagelang in Putzmitteln der Giftklasse drei baden, um dem Nachmieter nur ja keinen Kalk oder noch schlimmer Fett zu hinterlassen. Dinge, die man ganz und gar nicht braucht vom einen in den anderen Keller transferieren. Dübellöcher mit Zahnpasta kaschieren. Backofen und Kühlschrank wie neu aussehen lassen obwohl der Putzlappen bereits riecht wie Sau.
Würde ein Künstler eine allegorische Darstellung des Seelenfriedens von mir malen wollen, so wäre ich gerade nicht unbedingt die Idealbesetzung. In ein paar Monaten jedoch, so wage ich zu hoffen, werde ich meine Mitte wieder gefunden haben und gerne ein paar Stunden im neuen Wohnzimmer friedlich grinsend Modell stehen.
Bild: fotolia.com/Africa Studio
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