God save Youtube

Meine Lieblingsnachbarin ist Ärztin. Und sie ist nicht deshalb meine Lieblingsnachbarin, weil sie mir im richtigen Moment die richtigen Medikamente vorbeibringt, sondern weil sie eine warmherzige, grosszügige, intelligente Frau ist, die verfilmungswürdige Geschichten auf Lager hat. Heute zum Beispiel hat sie mir bei einem Glas Wein (oder waren’s zwei?) von ihrer ausnahmsweise total positiven Nachtschicht-Woche berichtet – es sind nur wenige Menschen verendet.
Da kam also eines Nachts dieser ältere Herr mit der ausgerenkten Schulter (Kegelverein, Freunde, Alkohol, holladio…) ins Spital – von den restlichen blutspritzenden Wunden mal abgesehen – und meiner Nachbarin kam spontan in den Sinn, dass sie die letzte kaputte Schulter vor ungefähr einem Jahr auf dem Schragen liegen hatte. Wichtiges Detail: Damals hatte das Einrenkungsmanöver, trotz sportlich-dynamischem Körpereinsatz, irgendwie nicht klappen wollen, so dass sie am Ende einen Kollegen hatte zu Rate ziehen müssen, um den Arm wieder mit dem restlichen Körper in Verbindung zu bringen. Allein; dieser Kollege ist aktuell auf Weltreise.
An all dies dachte Frau Doktor, als sie mitten in der Nacht neben dem lädierten Patienten sass, doch es beunruhigte sie nicht weiter. Tiefenentspannt wie sie nun mal ist, stopfte sie als erstes die Löcher, aus denen das Blut spritzte, verabreichte dem Herrn ein paar Beruhigungsmittel und zog sich in ihr Büro zurück. Und was tat sie da? Nein, sie schrieb keine Krankenakte. Nein, sie desinfizierte sich nicht die Unterarme. Nein, sie vögelte nicht den Assistenzarzt. Sie googelte. «Wie kriege ich einen kaputten Arm geflickt» war das Thema und siehe da: Youtube lieferte ein 1A Video.
Schulter rein in dreissig Sekunden. Sie sah sich das Video an, spazierte zum Patienten zurück und zack, war die Schulter wieder drin. Quasi Wunder. Patient überlebt. «Was taten die Ärzte nur, bevor es Youtube gab?», waren die letzten Worte auf ihren Lippen, als sie sich im Müdigkeitsflash um 19 Uhr den letzten Schluck Rotwein hinter die Binden kippte und wie in Trance aus meiner Wohnung entschwand. Keine Ahnung. Aber falls ich mir je die Schulter ausrenken sollte, so weiss ich jetzt, an wen ich mich wenden werde. God save Youtube.

 

Bild: Cornelia Menichelli  / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde am 12. März 2015 um 21:49 veröffentlicht. Er wurde unter Menschenskind abgelegt und ist mit , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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