Elektronisch überfordert
Bis kommenden Sonntag habe ich 10 Euro Vorteil, wenn ich bei hotel.de ein Zimmer buche. So steht es in einer Mail, die ich soeben erhalten habe. Ein Versandhaus, bei dem ich noch nie etwas bestellt habe, schenkt mir zudem einen Gutschein von zehn Franken zu meinem baldigen Geburtstag. In einem weiteren Mail lese ich, dass ich via DeinDeal die kommenden vier Tage Windeln für nur 39 Franken kaufen kann und Zalando schreibt mir, dass man mir auf Grund meiner letzten Bestellung ein paar Shoppingvorschläge zusammengestellt hat. Pling, da mailt mir eine Tele-Redaktion Fernseh-Tipps für heute Abend, nochmal pling und ich bekomme von Adobe Systems ein Cloud-Abo für nur 14.04 Franken im Monat angeboten. Soviel zu den Mails der letzten Stunde.
Weiter geht’s mit den sozialen Netzwerken. Erkan Rexhepi, Inspektion Tool Engineer bei einem international tätigen Orthopädie-Anbieter, will mich zu seinen LinkedIn Kontakten hinzufügen. Zudem möchte Olga Dana, gemäss Profilbild eine junge Brünette mit überaus grossen Brüsten und überaus kleinem pinken T-Shirt, mit mir auf Facebook befreundet sein. Gustav Jones folgt mir neuerdings auf Twitter und das, obwohl ich in meinem ganzen Leben noch keinen einzigen Tweet abgeschickt habe. Dingding – Tim schreibt mir in einer WhatsApp, ich sei aber gestern Abend auch noch lange online gewesen und ob ich heute nicht müde sei. Via Facebook-Messenger bekomme ich zwei Minuten später eine Anfrage von Lucie, ob ich nicht Lust hätte, mich mit ihr bei Nike zu challengen.
Was das alles zu bedeuten hat? Ich weiss es nicht.
Was ich jedoch weiss: Dieser ganze App-Messenger- Twitter-Facebook-Mail-Müll, den ich täglich bewältigen muss, der macht mich fertig. Ich fühle mich überinformiert, verfolgt und ausspioniert. Ich möchte wieder analog oder noch besser: elektronisch tot sein. Wie schön waren die Jahre, in denen das einzige Gerät in meiner Tasche der Texas TI 30 X war! Wie schön waren die Abende, an denen ich mit Mirj oder Nici oder Pasci vor immer derselben öffentlichen Telefonkabine verabredet war, um ins Kino zu gehen oder ein wenig rumzusitzen, zu rauchen, zu trinken und zu reden. Und wenn Mirj oder Nici oder Pasci nicht pünktlich auftauchten, so warf ich ein paar Münzen in den Schlitz des Telefonautomaten und rief bei denen zu Hause an. Mutti oder Vati klärten mich dann am Hörer über allfällige Krankheiten oder Verspätungen auf und so ging ich eben wieder nach Hause oder wartete noch ein wenig, guckte mir aus Ermangelung an Gratiszeitungen die Leute an oder las in meinem Buch aus der Bibliothek. So war das. Und das war schön so. Komplett uninformiert, dafür mit viel Zeit, Ruhe und Aufmerksamkeit für das Geschehen um mich rum.
Heute bin ich bis zum Erbrechen upgedatet über Menschen, dir mir komplett egal sind und über Vergünstigungen, die ich nicht brauche. Das ist ein Problem. Und dessen Lösung bedeutet vermutlich: Neuer E-Mail-Account, neue Telefonnummer, neuer Wohnort und am besten auch gleich noch neuen Namen. Fragt sich allerdings, was mich härter trifft; die komplette Aufgabe meiner Identität oder Olga Dana als Facebook-Freundin und die Nike-Challenge mit Lucie…
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