Christlich beseelt
Heute ist mir mal wieder eine Christin über den Weg gelaufen. Im morgendlich vollbesetzten Arbeiter-Bus. Weshalb ich weiss, dass das eine Christin war? Wegen ihres strahlenden Christinnengesichtleins natürlich, das aus dem trüben, frustrierten Mob herausleuchtete. Christinnen lächeln immer. Denen kannst du ins Gesicht scheissen, die hören nicht auf, dich anzulächeln. Die bedanken sich noch und wünschen dir einen schönen Tag. Das hat wohl damit zu tun, dass Jesus in ihnen wohnt oder Maria oder der Heilige Geist, was weiss ich, ich kenn mich da ja nicht so aus. Ich sehe nur dieses Lächeln von ganz tief innen, rein und züchtig und bescheiden.
Wie auch immer, jedenfalls schien die Christin nicht allzu oft Bus zu fahren, denn sie versuchte sich in ihrem biologisch abbaubaren Sackgewand von hinten durch die Mäntel und Taschen und iPhones und Tageszeitungen hindurch nach vorne zum Billet-Entwerter zu kämpfen. Hätte ich ihr gleich sagen können, dass das nicht geht, aber ich hatte keine Lust auf ein Gespräch. Nach zwei Haltestellen erkannte ich in ihrem Lächeln einen Anflug von Verzweiflung. Sie musste wohl bald wieder aussteigen und hatte ihr Billet noch immer nicht entwertet, sprich, sie fuhr schwarz und das geht natürlich nicht. Die Frau hatte vermutlich in ihrem ganzen Leben noch nichts Verbotenes getan.
Beinahe am Ziel angekommen zupfte die Christin in ihrer Not einen jungen Mann in Lederjacke am Arm und fragte ihn freundlichst, ob er für sie nicht eventuell das Billet entwerten könnte. Der Typ erkannte natürlich sofort, dass diese Dame nicht ansatzweise seinem Beuteschema entsprach, ungeschminkt, unfrisiert und stilfrei wie sie war. Er verzog genervt das Gesicht, riss ihr die Mehrfahrtenkarte aus der Hand, steckte sie unsanft vor sich in den Entwerter, CHHHLING – die Seele der Christin war gerettet. Vielen herzlichen Dank, sagte sie artig, doch der Mann hatte sich bereits wieder umgedreht. Also arbeitete sie sich lächelnd wieder zum Ausgang zurück, um bei der nächsten Haltestelle beschwingt den Bus zu verlassen und freudig den Herausforderungen entgegenzutreten, welche der heutige Tag noch für sie bereithielt.
Die kommt garantiert irgendwann in den Himmel, dachte ich mir. Dort schwebt sie dann auf einer Wolke durch die Lüfte, spielt Harfe, singt, haut ab und an einem Engelein auf das nackte Popöchen und kichert verlegen ob dieser Obszönität, die sie sich nun ja leisten kann, denn tot ist tot. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Aber nur ein ganz kurzes. Nicht dass fälschlicherweise noch jemand denkt, ich sei eine Christin.
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