Spontan fallen mir jeden Tag mindestens 20 Dinge ein, die ich sehr viel lieber tun würde, als mich durch den Schneeregen zur Arbeit zu kämpfen. Mailänderli backen zum Beispiel. Den Adventskalender für meinen Göttibub basteln. «Stille Nacht» auf der Gitarre üben, einen dicken Schal stricken, Klatsch-Heftli in der Badewanne lesen, im Internet nach Weihnachtsgeschenken suchen, Outfits für die bevorstehenden Wintertage vor dem Spiegel ausprobieren. Und joggen. Wer mich kennt, der nimmt mir das natürlich nicht ab und mich selber erstaunt es wohl am meisten, doch es ist tatsächlich wahr: Ich würde sogar lieber joggen.
Wie es so weit kam? Ich habe mir, im Hinblick auf meine jährliche Winter-Depression (und der schockierenden Zahl auf der Waage), vor einigen Wochen mindestens drei Mal wöchentlich eine halbe Stunde Bewegung im Freien verordnet. Genau. Ich kann nämlich ganz schön streng sein mit mir! Um mein Vorhaben zu manifestieren, habe ich mir im Anschluss ein paar saumässig teure Jogging-Klamotten geleistet und das, obwohl mein schwabbliges Hinterteil in knallengen Jogginghosen so richtig scheisse aussieht.
So prügle ich mich nun also jeden zweiten Abend nach der Arbeit aus dem Haus. Egal wie kalt es ist, egal ob’s regnet oder schneit, ich renne. Beim ersten Mal tat’s noch weh, beim zweiten Mal nicht mehr so sehr und unterdessen finde ich eine halbe Stunde fast schon etwas kurz. Das Ergebnis der für meine Verhältnisse übermässigen Sportsleistung ist spektakulär: Zwar kämpfe ich die ersten fünf Minuten lang gegen akute Kurzatmigkeit und das dringende Bedürfnis, sofort umzukehren und es mir unter der Kuscheldecke mit einem Glas Rotwein gemütlich zu machen, doch dann, Schritt für Schritt, werde ich neu geboren.
Ich renne mir den Kopf frei, freue mich über jeden Schweisstropfen, der im Nacken kribbelt und möchte ein Rundtelefon starten, um alle meine Bekannten über meine Wahnsinns-Tat zu informieren, sobald ich die letzten Stufen bis zu meiner Haustür geschafft habe. Mit hochrotem Kopf zeige ich meinem inneren Schweinehund den Stinkefinger und weiss: übermorgen ist er vielleicht wieder stärker als ich, aber heute habe ich ihm noch einmal in den Arsch getreten.
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