Ich wohne in einer Eigentumswohnung in einem denkmalgeschützten Haus. Das Haus steht an einem Fussweg direkt am Rhein und täglich pilgern hunderte von Menschen auf ihren Spaziergängen daran vorbei, staunen und machen Fotos. Das Gebäude sieht tatsächlich ein wenig aus, wie aus der Zeit gefallen. Als hätten hier schon Ritter ihre Pferde angebunden und holde Maiden den Minnegesängen ihrer Verehrer gelauscht. Das ist der etwas antiquierten Architektur geschuldet, die wohl schon 1900 ziemlich eigenwillig war. Jedenfalls beobachte ich am Kühlschrank stehend neben dem beruhigend fliessenden Gewässer und dem Vorbeiziehen der Wolken auch immer wieder Menschen, die sich über unseren Briefkasten beugen, um zu gucken, wer hier wohnt. Schon mehr als einmal wollte ich aus dem Küchenfenster rufen: «Hallo, ich bin das Gesicht hinter dem Namen am Briefkasten – haben Sie irgendwelche Fragen oder wollen Sie auf einen Kaffee hochkommen?». Ich hab’s bisher immer gelassen.
Nun ist mir gestern eine Mail ins Postfach geflattert mit dem Betreff «Aufmerksame Nachbarn». Sie kam vom Verwalter des Hauses. Der Denkmalschutz hätte sich bei ihm gemeldet, weil Nachbarn bemerkt hätten, dass zum Teil die vorgeschriebenen Sprossen bei den Fenstern wieder fehlen würden. Die Sprossen fehlten schon einmal. Dann wurden sie wieder montiert und angeleimt. Jetzt fehlen sie teilweise wieder. Ich weiss auch, wieso. Ich putze sie schliesslich, diese Fenster.
Wer direkt am Gewässer wohnt, kennt das Problem vielleicht. Je wärmer die Jahreszeit, desto mehr Tierchen machen es sich rund ums Fenster gemütlich. Hat man – wie wir – einen Rolladenkasten, so ist es nicht verwunderlich, dass sich dort hunderte von gefrässigen Spinnen niederlassen, um sich an der grossen Artenvielfalt zu bedienen. Und wer wohlig satt ist, pflanzt sich freudig fort. Ein beliebter Ort dafür sind die zahlreichen hübschen Sprossen an den Oberfenstern, wo unsere Spinnen fleissig ihre Netze bauen und kopulieren, was das Zeug hält. Die Weibchen richten sich ihren Kokon, in dem sie schliesslich die Eier ablegen, am liebsten in den Zwischenräumen zwischen unseren Sprossen und dem Fenster ein. Arachnologen wären freudig erregt ob diesem regelmässig wiederkehrenden Spektakel. Ich bin es weniger.
Es ist eine wahre Spinnenplage, mit der ich mich da auseinandersetze. Mehr als einmal durfte ich – auf der Leiter stehend, das Oberfenster zwecks Reinigung in akrobatischer Höchstleistung heruntergeklappt – die hautnahe Erfahrung erregter Spinnen machen. Blörk. Ich bin ja nicht phobisch. Aber im Gesicht und in den Haaren brauch ich die Viecher nicht. Unterdessen habe ich das Problem einigermassen im Griff. Spinnenspray ist das Zauberwort. Ja, ich weiss – es ist ein Teufelszeug. Doch nur weil ich sämtliche Sprossen entfernt, vorne und hinten abgeschrubbt, von Fäden, Eiern und Kokons befreit und mit dem Gift eingesprüht habe, sehen wir nun wieder klar auf den Rhein. Zugegeben, dabei wurden die einen oder anderen Sprossen etwas lädiert und ich dachte «was soll’s, ich mach sie gar nicht mehr dran, in ein paar Monaten müssen sie ja eh wieder runter.»
Und nun dieses Schreiben. Aus dem ich folgere, dass a) dieser aufmerksame Nachbar in seinem Leben noch nie ein Oberfenster mit acht Sprossen auf zweieinhalb Metern Höhe von einer Spinnenplage befreit hat, dass b) er infolgedessen ein Mann sein muss und dass c) dieser Mann hueregopfetorisiech viel Zeit hat, um sich mit anderer Leute Kram zu beschäftigen, der ihn einen feuchten Dreck angeht. Möglicherweise sitzen seine Sprossen noch lockerer als die meiner Fenster. Ich würde ihm jedenfalls sehr gerne mal eine kleine Spinnenfamilie als Dank für seine Aufmerksamkeit in den Briefkasten legen. Nur weiss ich ja nicht, wo er wohnt und auch nicht, wie er heisst. Wenn du diesen Text also liest, du Arschgeige: klingle doch mal bei mir. Bist ja bestimmt auch schon mit Stielaugen vor meinem Briefkasten gestanden. Aber gell, einen Kaffee darfst du von mir nicht erwarten.